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Martin von Tours

Thema des Monats November 2024: Von Caesars Soldat zu Christus’ Soldat

Am 11. November erklingen in vielen Teilen Deutschlands nicht nur Karnevalsrufe, sondern man sieht auch Kinder, die singend mit ihren Laternen durch die Straßen ziehen. Sie singen von einem römischen Soldaten, der als einziger Mitgefühl mit einem frierenden Bettler vor der Stadt Amiens hatte und seinen Mantel, ein großes rotes Stück Stoff, mit ihm teilte. Weiter heißt es in den weniger bekannten Strophen, dass dies der Moment war, in dem sich Martin zum Christentum bekehrte und es sogar bis zum Bischofsamt schaffen sollte.

Tatsächlich soll dem historischen Martin zumindest letzteres passiert sein. Die früheste Quelle, die über den Bischof von Tours berichtet, ist die Vita Martini des Sulpicius Severus, einem adligen Freund des Heiligen. Diese Schrift steht am Anfang der christlichen Heiligenlehre, ist jedoch historisch nicht unumstritten.

Severus zufolge wurde Martin in der Provinz Pannonien, in Savaria (heute Ungarn), als Sohn eines Militärtribuns in eine pagane Familie hineingeboren. Der Familientradition folgend, soll er zunächst selbst zum Militär gegangen sein. Hier fallen auch die ersten Ungereimtheiten in den Überlieferungen zu Martin auf: 316/317 geboren, soll er mit 15 Jahren den Dienst angetreten haben, nicht unüblich für Soldatensöhne. Etwa 20-jährig soll er dann auf spektakuläre Weise den Dienst wieder abgelegt haben. Severus ist in seiner Darstellung eindeutig: Dies soll bei der Heeresversammlung vor einer Schlacht gegen die Alamannen im Gebiet der Vangionen (Worms) unter Kaiser Julian passiert sein, was für das Jahr 356 spricht und gegen die überlieferte Chronologie. Martin hätte dann seinen Militärdienst abgeleistet bevor er sich dem radikalen asketischen Christentum zuwandte.

Anstatt das Donativ am Vorabend der Schlacht entgegenzunehmen, bat Martin um seine Entlassung und erklärte: „Christi ego miles sum“ – „Ich bin ein Soldat Christi“. Als der Kaiser den Wunsch versagte, schlug Martin vor, am nächsten Tag als erster und ohne Bewaffnung gegen den Feind zu ziehen. Wie durch ein Wunder kam es nicht zur Schlacht – Martin war frei, und Severus kann ihm und Gott freilich als Grund für die Aufgabe der Germanen benennen. In der Folge lebte Martin asketisch zurückgezogen im Umfeld des Bischofs Hilarius von Poitiers, ehe er um 370 zum Bischof von Tours gewählt wurde. Zwar gründete Martin bei Marmoutier auch ein Kloster, aber sein Ruhm beruhte kaum auf seinem Mönchtum, sondern eher auf seiner Tätigkeit als Missionar und seinem asketischen Leben.

Severus berichtet zwar davon, dass Martin, ebenso wie andere Asketen seiner Zeit, Wunder in Form von Teufelsvertreibungen und Totenerweckungen gewirkt haben soll, beschreibt aber auch sehr genau, wie Martin gegen Andersgläubige in Gallien vorging: in durchaus radikaler Weise zerstörte der Soldat Christi die paganen Heiligtümer und Tempel und störte deren Zeremonien. Zwar berichtet Severus nicht über den Tod Martins, vermutlich, weil dieser bei der Veröffentlichung der Vita noch lebte, dennoch zeigt er die tiefe Bewunderung anderer Heiliger, wie z. B. seines Freundes Paulinus von Nola, auf. Nach den später erschienenen Viten soll Martin am 8. November 397 verstorben sein. Anders als andere frühe Heilige starb Martin keinen Märtyrertod, denn zu seiner Zeit war das Christentum bereits eine privilegierte Relegion. Auch wird der Tag der Beisetzung seiner Gebeine, der 11. November in Tours, verehrt, nicht sein Sterbetag.

Die Bekanntheit und Verehrung des Asketen, Mönchs, Bischofs und Soldaten Christi setzte vermutlich schon rasch nach seinem Tod ein. Sein Grab wurde zu einem bedeutenden Ziel von Pilgern, und auch sein legendärer Mantel (lateinisch „cappa“ und Ursprung für das deutsche „Kapelle“ und „Kaplan“) gewann an Bedeutung, da dieser unter den Merowingern zur Reichsreliquie wurde und in der Karolingerzeit zu einem Reichskleinod. Kritisieren muss man dennoch, dass die Texte über Martins Leben tendenziell versuchen, den Asketen Martin zum Paradebeispiel eines guten Bischofs zu machen, der den rechten Glauben verteidigt und auch ein vorbildlicher Mönchsvater gewesen sei. Damit stand er nicht nur in Konkurrenz zu den Heiligen im östlichen Mittelmeerraum, sondern übertraf diese sogar.

Die heutigen Riten rund um die Verehrung des Martins wurden vermutlich im 19. Jahrhundert aus älteren Traditionen wiederbelebt. Der Martinstag fällt mit dem alten Beginn der adventlichen Fastenzeit zusammen, weswegen vielerorts an dessen Vorabend Martinsfeuer die Nacht erleuchteten und in Gemeinschaft gefeiert, gegessen und getrunken wurde. Dies sind die Ursprünge für Martinsgänse und Laternenumzüge. Für die Armen brach eine Zeit des Hungerns an, so dass ihre Kinder auf Heischegänge gingen, um Äpfel, Nüsse und andere Trockenfrüchte für den Winter einzulagern. In Norddeutschland als Mattenherrn bekannt und lange schon durch Süßigkeitensammeln bekannt, heute weitgehend durch Halloween verdrängt.

Friedrich W. Brüggemann

Bildnachweis: Martin von Tours, pl.wikipedia.org/wiki/Marcin_z_Tours

Ölgemälde „Der letzte Tage von Pompeji“ des russischen Malers Karl Pawlowitsch Brjullow aus den Jahren 1830-1833 (online abrufbar unter https://de.wikipedia.org/wiki/Der_letzte_Tag_von_Pompeji_(Gem%C3%A4lde)#/media/Datei:Karl_Brullov_-_The_Last_Day_of_Pompeii_-_Google_Art_Project.jpg)

Thema des Monats Oktober 2024: Der Vesuvausbruch im Jahr 79 n. Chr.

Im Jahr 79 n. Chr. kommt es zu einer der größten Naturkatastrophen der Antike: Der am Golf von Neapel gelegene Vesuv bricht aus und begräbt ganze Städte, darunter auch die heute weltbekannten Orte Pompeji und Herculaneum, unter sich. Besonders anschaulich wird die Eruption vom jüngeren Plinius, dessen gleichnamiger Onkel den Ausbruch selbst miterlebte und dabei ums Leben kam, in einem Brief an den Historiker Tacitus geschildert (Plin. epist. 6,16,5-6):

„Eine Wolke erhob sich; […] ihre Gestalt dürfte wohl am ehesten einer Pinie ähnlich gewesen sein. Denn sie wuchs wie mit einem Riesenstamm empor und teilte sich dann in mehrere Äste, wohl deshalb, weil sie von einem frischen Luftstrom emporgehoben wurde, dann aber, wenn dieser nachließ, den Auftrieb verlor, oder auch weil sie sich wegen ihres Eigengewichtes in die Breite verflüchtigte. Bisweilen war sie weiß, bisweilen schmutzig und fleckig, je nachdem sie Erde oder Asche emporgeworfen hatte.“

Im Gegensatz zum Ausbruchsverlauf, der aufgrund diverser Untersuchungen rekonstruiert werden konnte, ließ sich die monatsgenaue Datierung der Eruption bis heute nicht eindeutig klären. Ursächlich hierfür ist die Überlieferung der literarischen Quellen: Zwar nennt Plinius in seinem Brief ein exaktes Datum, allerdings variiert dieses je nach Handschrift. So sind neben dem etablierten 24. August (nonum kal. Septembres) ebenso der 1. November (kal. Novembres), 30. Oktober (III kal. Novembres) und 24. Oktober (nonum kal. Novembres) überliefert. Auch andere Autoren wie Cassius Dio, der nur oberflächlich davon spricht, dass sich der Ausbruch am Ende des Sommers/im Herbst (φθινόπωρον) ereignet habe, bringen wenig Licht ins Dunkel.

Archäologische Funde – zu nennen wären unter anderem Herbstfrüchte und eine Silbermünze des Kaisers Titus, die nach dem 8. September datiert werden müsse – plausibilisieren die Datierung der Eruption in den Herbst. Im Jahr 2018 entdeckten Archäologen ein mit Kohle geschriebenes Graffito, von dem aufgrund der Vergänglichkeit des Schreibmaterials angenommen wird, dass es kurze Zeit vor dem Ausbruch entstanden sein muss. Der Text des Graffitos lautet: XVI [ante] K[alendas] Nov[embres] in[d]ulsit pro masumis esurit[ioni], also in etwa „Am 17. Oktober gab er sich maßlos dem Essen hin“. Obwohl auch andere Lesarten existieren, herrscht in Bezug auf das Datum Einigkeit in der Forschung. Sofern die oben genannte Annahme über die Vergänglichkeit der Kohle zutreffend ist, wäre dieses Graffito ein starkes Indiz dafür, dass der Vesuv nicht – wie aufgrund von Plinius’ Zeugnis oftmals angenommen – im August, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach erst im Oktober des Jahres 79 n. Chr. ausbrach.

P.S. Zum Verständnis der römischen Kalenderangaben siehe den entsprechenden Beitrag in der Rubrik Thema des Monats vom August 2023 (Der römische Kalender).

Kevin Teimer

Bildnachweis: Ölgemälde „Der letzte Tage von Pompeji“ des russischen Malers Karl Pawlowitsch Brjullow aus den Jahren 1830-1833. 

https://de.wikipedia.org/wiki/Der_letzte_Tag_von_Pompeji_(Gem%C3%A4lde)#/media/Datei:Karl_Brullov_-_The_Last_Day_of_Pompeii_-_Google_Art_Project.jpg

Darstellung der Schlacht bei Actium von Lorenzo A. Castro, 1672 (https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_bei_Actium#/media/Datei:Castro_Battle_of_Actium.jpg)

Thema des Monats September 2024: Die entscheidende Schlacht von Actium

Es ist der 02. September 31 v. Chr. Am Kap von Actium kommt es zur Schlacht um Caesars politisches Erbe. Es ist der entscheidende Kampf zwischen Antonius, dem ehemaligen General Caesars, und Octavian, dem späteren Kaiser Augustus, der über die Macht im Römische Reich entscheiden soll.

Die bedeutende Seeschlacht zwischen Octavian und der Vereinigung von Antonius und Kleopatra, die Königin Ägyptens, markierte das Ende der Römischen Republik. Dabei gelang es den Streitkräften Octavians die zahlenmäßig überlegende Flotte Antonius zu besiegen, was vor allem auf das strategische Vorgehen Agrippas zurückzuführen ist, der Octavian als Kommandant und enger Verbündeter unterstützte. So war die von Agrippa über Jahre aufgebaute Flotte wendiger und schneller als die großen Schiffe Antonius. Dies ermöglichte eine bessere Beweglichkeit der Schiffe und führte dazu, dass die Truppe unter der Führung Agrippas den Ausgang aus dem Golf für die Flotte von Antonius und Kleopatra blockieren konnte. Die von ihnen befehligten Truppen erreichten somit wichtige Häfen und Verbindungslinien nicht mehr, was unter anderem zu Lebensmittelknappheit des Landheeres führte und diese schwächte und stark demoralisierte. Außerdem gelang es Octavian Verbündete Antonius auf seine Seite zu ziehen, was die militärische Stärke des Paares weiter schwächte.

Als die Schlacht aus Sicht Antonius und Kleopatra verloren schien, unternahm das Flagschiff der beiden einen Ausbruchsversuch, der von den Berichterstattern als Flucht verunglimpft wurde. Die Aktion führte wohl dazu, dass Octavian die Schlacht von Actium für sich entscheiden konnte. So siegte die Flotte Octavians am 02. September 31 v. Chr. bei Actium über Antonius und Kleopatra. Eigentlich war es jedoch nur ein Etappensieg. Ägypten musste noch erobert werden. Nach der Einnahme Alexandrias begingen Antonius und Kleopatra nach einander Selbstmord.

Mit der Seeschlacht in Nordwestgriechenland endet jedoch nicht nur der Kampf um die Herrschaft im Römischen Reich, sondern auch eine Jahrzehnte andauernden blutigen Epoche von Bürgerkriegen.
Dass die Schlacht von Actium von besonderer Bedeutung ist, zeigt dabei auch die Zäsur, die das Datum der Schlacht in der Antike mit sich bringt. So wurde in vielen Städten in Osten des Römischen Reiches eine neue Zeitrechnung eingeführt, die mit der Schlacht im Nordwesten Griechenlands begann. Aber auch noch jetzt prägt die Schlacht die italienische Gesellschaft. Denn wer beim letzten Thema des Monats gut aufgepasst hat, weiß, dass die Italiener*innen noch heute ihren Feiertag zur heißesten Zeit des Jahres unter anderem dem Sieg Octavians zu verdanken zu haben. So geht der Feiertag Ferragosto neben weiteren politischen Erfolgen auch auf den Sieg von Actium zurück, der den Weg des Augustus zum Kaiser des Römischen Reiches ebnete.

Annalena Schwettlick

Bildnachweis: Darstellung der Schlacht bei Actium von Lorenzo A. Castro, 1672

https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_bei_Actium#/media/Datei:Castro_Battle_of_Actium.jpg

Bildnachweis: https://de.wikipedia.org/wiki/Augustus#/media/Datei:Glyptothek_M%C3%BCnchen_%E2%80%93_18.04.2022_%E2%80%93_Augustus_Bevilacqua_(4).jpg // KI überarbeitet

Thema des Monats August 2024: Urlaub? Kaiser sei Dank!

Es ist der 15. August eines jeden Jahres – in Italien kommt das öffentliche Leben zum Erliegen. Der Verkehr steht still, die Geschäfte und Ämter sind geschlossen, stattdessen füllen sich die Dörfer und Strände, und im ganzen Land finden Feiern und Veranstaltungen statt. "Ferragosto" wird der Tag genannt, den die Italiener mit ihren Familien und Freunden verbringen.

Der 15. August gilt traditionell als der heißeste Tag des Jahres und Mittelpunkt der Saison, doch dieser Tag ist nicht rein zufällig gewählt. Einen kleinen Hinweis auf den Ursprung verrät schon der Monat, in dem das Fest begangen wird: Dieser ist nach Kaiser Augustus benannt. Schließlich leitet sich "Ferragosto" vom lateinischen "feriae Augusti" ab, was so viel wie "Feiertag des Augustus" bedeutet.

Octavian, wie der erste römische Kaiser vor der Verleihung des Ehrentitels "Augustus" 27 v. Chr. durch den Senat genannt wird, errang 31 v. Chr. den entscheidenden Sieg im Krieg um die Alleinherrschaft im römischen Reich. Zwei Jahre später feierte er sich deswegen ganz offiziell in Rom selbst. Er veranstaltete einen Triumph als Erinnerung an seinen Sieg. Anders als gewöhnlich feierte er aber keinen einfachen, sondern gleich einen dreifachen Triumph, der sich über drei Tage strecken sollte: den 13., 14. und 15. August.

Am ersten Tag feierte er den Sieg über die Dalmater, am zweiten den entscheidenden Sieg über Cleopatra und Antonius bei Actium und am dritten die an die Schlacht anschließende Unterwerfung ganz Ägyptens. Augustus selbst berichtet in seinem Tatenbericht, dass er im Zuge des Triumphes 29 v. Chr. auch die Tore des Janus-Tempels habe schließen lassen, ein Zeichen dafür, dass nun im ganzen Reich Frieden herrschen würde.

Als jemand, der wusste, wie wichtig Eigenwerbung ist, erhob Augustus den Tag des Actiumsieges, den 14. 8. nach dem praenestinischen Kalender zum reichsweiten Feiertag. Er verknüpfte den Sieg damit zu einer Feierperiode den Augustali, die vom 1. bis zum 15. August dauern sollten.

Nachdem das Christentum in der Spätantike die alte Religion im Reich abgelöst hatte, wurde, ähnlich wie bei anderen traditionellen Feiertagen, der Festtag des Augustus mit einem christlichen Fest verbunden: Mariä Himmelfahrt am 15. August. Beide pagane Feiertage der 1.8. (feriae Augusti) und der 14. 8. wurden so neutralisiert. Unter dem Diktator Mussolini entwickelte sich der 15. August dann erst zu einem Reisetag für die gesamte Bevölkerung, durch die Einrichtung der sogenannten "Volkszüge von Ferragosto" und die Organisation von "Volksausflügen“, die die Periode vom 13.-15. umfassten und erstmals breiten Kreisen das Reisen in Italien erschloss.

Im Laufe der Jahrhunderte hat Ferragosto sowohl religiöse als auch weltliche Elemente bewahrt. Die Traditionen haben sich weiterentwickelt, aber der Kern des Festes – Gemeinschaft und Freude – bleibt erhalten. Heute ist Ferragosto ein Symbol für die italienische Lebensart, eine Zeit, um den Sommer zu feiern und persönliche Beziehungen zu pflegen.

Friedrich W. Brüggemann

Bildnachweis: de.wikipedia.org/wiki/Augustus // KI überarbeitet

Selbst zugeschnittener Ausschnitt aus folgendem Bild (Public Domain) von Bernard Picart zwi-schen 1683 und 1733:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Portretten_van_Demetrius_en_Herostratos_Portretten_van_Anna_van_Bretagne_en_Maria_Tudor,_RP-P-OB-51.096.jpg

Thema des Monats Juli 2024: Die Zerstörung des Artemis-Tempels in Ephesos

„Du-weißt-schon-Wer“ oder „Er-dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf“: Die darin zum Ausdruck kommende Tabuisierung eines Namens dürfte wohl nicht nur eingefleischten Harry Potter-Fans bekannt vorkommen. Dies ist jedoch keine moderne Erfindung, sondern bereits in der Antike gab es Bemühungen, den Namen einer Person unerwähnt zu lassen. Dass man ungeachtet der getroffenen Maßnahmen damit selten Erfolg hatte, illustriert ein Beispiel aus der griechischen Antike.

In einer Julinacht des Jahres 356 v. Chr. brannte der Tempel der Artemis in Ephesos, eines der sieben Weltwunder der Antike, nieder. Die antiken Autoren berichten übereinstimmend, dass die Tat von einer Einzelperson verübt wurde. Unter Folter soll der Mann anschließend gestanden haben, dass er den Tempel in Brand gesteckt habe, damit sein Name bis in alle Ewigkeit in Erinnerung behalten werde. Demzufolge wäre es für ihn wichtiger gewesen, überhaupt im Gedächtnis weiterzuleben als die Art und Weise, wie man sich an ihn erinnerte. Laut dem zu Beginn des 1. Jh. n. Chr. lebenden Autor Valerius Maximus beschlossen die Einwohner von Ephesos deshalb, die Erinnerung an den Brandstifter aus der Geschichte zu tilgen und seinen Namen fortan nicht mehr zu erwähnen.

Nichtsdestotrotz kennen wir heute den Namen des Täters: Herostratos. Verantwortlich hierfür ist laut dem bereits erwähnten Valerius Maximus der griechische Geschichtsschreiber Theopompos von Chios, der den Brand des Tempels als Zeitzeuge miterlebte und Herostratos’ Namen überlieferte. Nichtsdestotrotz hielten sich einige Autoren (z. B. Valerius Maximus, Cicero oder Plutarch) scheinbar an das Namensverbot und ließen Herostratos’ Namen unerwähnt.

Der Fall des Herostratos veranschaulicht somit einerseits die nach antiker Vorstellung zentrale Bedeutung der posthumen Erinnerung an die eigene Person – egal auf welche Weise –, andererseits aber auch die Unmöglichkeit, die Erinnerung an eine Person vollständig zu kontrollieren. Paradoxerweise ist sein Name, der eigentlich aus der Geschichte getilgt werden sollte, sprichwörtlich geworden: So bezeichnet man ein aus Ruhmsucht begangenes Verbrechen noch heute als „herostratische Tat“.

Kevin Teimer

Bild: Selbst zugeschnittener Ausschnitt aus folgendem Bild (Public Domain) von Bernard Picart zwi-schen 1683 und 1733:
commons.wikimedia.org/wiki/File:Portretten_van_Demetrius_en_Herostratos_Portretten_van_Anna_van_Bretagne_en_Maria_Tudor,_RP-P-OB-51.096.jpg

Thema des Monats Juni 2024: Matralia

Jährlich feiern wir am zweiten Sonntag im Monat Mai den Muttertag. An diesem Tag treffen sich viele im Kreis der Familie, essen zusammen und überreichen den Müttern kleine Geschenke. Aber gab es auch in der Antike einen Feiertag zu Ehren der Mütter oder Frauen, die man mit unserem heutigen Muttertag vergleichen könnte?

Ein römisches Fest, bei dem Mütter eine wichtige Rolle spielten, waren die am 11. Juni gefeierten Matralia. Es wurde zu Ehren der Göttin Mater Matuta zelebriert. Mater Matuta war eine altitalische Göttin und für das Morgenlicht und die Geburt zuständig. Sie wurde vor allem von Frauen angebetet, weil die Morgenstunden, wie es der Historiker Theodor Mommsen hervorhebt, für eine Geburt als besonders glücksbringend gegolten hätten.

An den Matralia durfte aber nicht beide Elternteile oder gar die ganze Familie teilnehmen, sondern dem frühchristlichen Schriftsteller Tertullian zufolge nur Matronen, die noch in ihrer ersten Ehe gelebt hätten (matronae univirae). Jede Teilnehmerin sollte als Festgabe einen Kuchen in einem Tongefäß backen.

Sklavinnen waren von den Festlichkeiten ausgeschlossenen. Der Ausschluss ging sogar so weit, dass er jedes Jahr durch einen symbolischen Ritus, bei dem die Frauen eine Sklavin schlugen und aus dem Haus trieben, erneuert wurde.

Bei den Festlichkeiten beteten die Frauen nicht für ihre eigenen Kinder, sondern vor allem für die Kinder ihrer Schwestern, also als Tante mütterlicherseits (matertera). Die Historikerin Dorothea Baudy vergleicht diese Position mit unserem heutigen Patenschaftswesen und unterstreicht die Bedeutung dieser Feierlichkeiten für die sozialen Kontakte und Beziehungen der Teilnehmerinnen.

Damit legten die Matralia, obwohl sie grundlegend auch in den Bereich der Mutterschaft einzuordnen sind, einen ganz anderen Fokus als unser heutiger Muttertag.

Julia Grewe

Locustus probiert in Anwesenheit von Nero das für Britannicus zubereitete Gift, Joseph-Noël Sylvestre 1876, online unter: https://fr.wikipedia.org/wiki/Locuste_(empoisonneuse).

Thema des Monats Mai 2024: True Crime im Römischen Reich - Locusta als erste Serienmörderin der Geschichte

Das Römische Reich war vielfach von Gewalt geprägt. Während das Reich nach Außen expandierte, bot es für die einzelnen Bewohner*innen im Inneren oftmals nur wenig Schutz. So waren Raub und Überfälle an der Tagesordnung, aber auch Mord war selbst in kaiserlichen Reihen ein übliches Mittel. Auch der unehrenhafte Giftmord bot hierbei eine Möglichkeit, vermeintlich unauffällig Konkurrenz oder politische Gegner aus dem Weg zu räumen. Eine beliebte Ansprechpartnerin des Kaiserhauses war hierbei scheinbar Locusta – die wohl erste dokumentierte Serienmörderin der Geschichte. Sie soll als Giftmischerin im 1. Jhd. n. Chr. für mindestens sieben Mordfälle verantwortlich gewesen sein, die Dunkelziffer wird jedoch höher geschätzt.

Locusta selbst galt als weit bekannt, übte in einer Zeitspanne von mehreren Jahren in Rom ihre Giftmischerei aus und unterrichte sogar in ihrem Fachgebiet. Und auch wenn sie bereits vorbestraft war, übte Locusta ihre Giftmischerei weiterhin beruflich aus.

Ihre Aufträge stammten dabei unter anderem vom römischen Kaiserhof. Sie soll die Giftmischerin der Kaisergattin Agrippina gewesen sein, für welche sie Tacitus und Cassius Dio zur Folge das Gift für die Vergiftung des amtierenden Kaisers Claudius hergestellt habe. Aber auch Kaiser Nero, selbst für seine Grausamkeiten geschmäht, profitierte demnach von den Künsten der Giftmischerin. So berichtet Sueton, dass das verwendete Gift für den möglichen Anschlag auf Neros Bruder Britannicus ebenfalls von Locusta im Auftrag des Kaisers hergestellt wurde. Als Belohnung soll die Giftmischerin dann von Nero mit Landgütern entschädigt worden sein.

Neben den möglichen Giftaufträgen erhielt Locusta durch den Kaiser zudem Aufträge Schülerinnen und Schülern hinsichtlich der Giftmischerei zu unterrichten. Durch ihre Nähe zu Nero genoss Locusta nach den Berichten Suetons Straffreiheit. So wurde sie durch den Kaiser beispielsweise im Jahr 55. n. Chr. vor der Hinrichtung bewahrt, obwohl sie des Giftmordes bezichtigt wurde. Erst zu Beginn des Jahres 69, sieben Monate nach dem Tod des Kaisers, wurde die Giftmischerin unter Neros Nachfolger Galba dann verurteilt und hingerichtet.

Dennoch geht Locusta mit ihren Fähigkeiten als Giftmischerin in die Geschichte der Kriminalität ein, die durch ihre Nähe zum Kaiserhof das Interesse der Geschichtsschreiber fand.

Annalena Schwettlick

Bildnachweis:

Locuste essaye en présence de Néron le poison préparé pour Britannicus, Joseph-Noël Sylvestre 1876, online unter: fr.wikipedia.org/wiki/Locuste_(empoisonneuse).

Eintrag der Robigalia auf der Fasti Praenestini am 25. April. Übersetzt: „Feiertag für den Gott Robigus auf der Via Claudia  beim fünften Meilenstein, damit der Getreiderost dem Getreide nicht schade. Ein Opfer und Spiele für Lang- und Kurzstreckenläufer finden statt. Es ist der Festtag der Bordelljungen, weil der vorletzte Tag (23. April) der der weiblichen Prostituierten ist.“

Thema des Monats April 2024: Die Robigalia

Bis heute können Schädlinge und Pilze unsere Ernten gefährden. Gerade Getreidesorten sind durch Pilze wie den Weizensteinbrand (Tilletia caries) und Getreiderost (Puccinia graminis) bedroht. Während der moderne Mensch die Pflanzenkrankheiten beispielsweise durch die Züchtung resistenterer Getreidesorten in ihrer Verbreitung eindämmen konnte, erkannte man auch in der Antike – wie Plinius der Ältere bezeugt – Getreidekrankheiten und ihre Gefahren, konnte jedoch nur mit geringem Erfolg dagegen vorgehen. Allerdings gab es unter den zahlreichen Göttern, die die Römer verehrten, auch hierfür eine zuständige Gottheit: Robigo.

Nach dem Antiquar Varro galt diese Gottheit als Personifikation der oben genannten Krankheiten, die diese auch hervorrufen konnte. Anders als bei anderen Gottheiten scheint in der Antike jedoch Unklarheit darüber geherrscht zu haben, welches Geschlecht diese überhaupt hatte. Sowohl eine weibliche Form als Robigo als auch eine männliche als Robigus sind belegt. Die Fasti Praenestini (ein teilweise erhalten gebliebener römischer Kalender von Feiertagen) belegt den Festtag zur Abwehr des Getreidebrandes – die Robigalia – für den 25. April. Aulus Gellius bemerkt dazu im 2. Jh., dass es weniger um die Verehrung der Gottheit als vielmehr um ihre Besänftigung ging.

An diesem Tag soll an der Grenze der Feldmark, dem 5. Meilenstein der Via Claudia, zunächst mit Opfern und später auch mit Spielen das Fest stattgefunden haben. Geopfert wurden ein Schaf und ein Hund. Die Beschreibungen in den Texten unterscheiden sich dabei, ob des Geschlechts, dem Alter des Hundes und ob dieser möglicherweise ebenfalls rot wie die abzuwehrende Krankheit gewesen sein soll. Die große Bedeutung dieses Festes könnte man darin erkennen, dass laut Ovid einer der höchsten römischen Priester – der Flamen Quirinalis – an der Zeremonie beteiligt gewesen sein soll.

Die Robigalia reflektiern die tiefe Verwurzelung der antiken römischen Gesellschaft in der Landwirtschaft und ihren Glauben an göttlichen Schutz und Intervention in agrarischen Angelegenheiten. Trotz der Veränderungen in der modernen Landwirtschaft bleiben die Robigalia ein wichtiges historisches Zeugnis für die menschliche Interaktion mit der Natur und den Glauben an übernatürliche Mächte.

Friedrich W. Brüggemann

Bildnachweis:

https://en.wikipedia.org/wiki/Fasti#/media/File:Fasti_Praenestini_Massimo_n2.jpg

Abgerufen am 28.03.2024

Bild: Eintrag der Robigalia auf der Fasti Praenestini am 25. April. Übersetzt: „Feiertag für den Gott Robigus auf der Via Claudia  beim fünften Meilenstein, damit der Getreiderost dem Getreide nicht schade. Ein Opfer und Spiele für Lang- und Kurzstreckenläufer finden statt. Es ist der Festtag der Bordelljungen, weil der vorletzte Tag (23. April) der der weiblichen Prostituierten ist.“

Bildnis einer regierenden bosporanischen Königin; 1898 in Shirokaya Balka nahe Noworossijsk gefunden) Abb. Roller 2018, S. 94, Nr. 13.

Thema des Monats März 2024: Dynamis

Dynamis (wörtlich: Macht) war zur Zeit des Augustus eine Klientelkönigin Roms, d.h. sie unterhielt gute Beziehungen zur Supermacht am Tiber und beherrschte dank deren Unterstützung die eigenen Territorien. Offiziell nannte sie sich Philoromaios, Römerfreundin. Dynamis entstammte dem Königshaus von Pontos, an der türkischen Schwarzmeerküste. Ihr Großvater Mithridates VI. hatte den Römern erheblichen Ärger gemacht und seine Herrschaft 109 v.Chr. auch auf die Halbinsel Krim (Taurenische Chersonnes) ausgedehnt, wo Dynamis Königin werden sollte. Dieses sog. Bosporanische Reich zu beiden Seiten der Straße von Kertsch hatte sich aus griechischen Kolonien, den Tochterstädten griechischer Siedler, entwickelt und war zuvor mehrere hundert Jahre von der Familie der Sartoniden beherrscht worden. Nachdem die Römer Mithridates 63 v.Chr. in Kleinasien besiegt hatten, zog er sich in sein bosporanisches Gebiet zurück, um von dort den Kampf neu aufzunehmen. Sein Sohn, Dynamis’ Vater, Pharnakes II., sagte sich indes los und zwang Mithridates in Pantikapaion (auf der Krim) zum Selbstmord. Das sicherte ihm Roms Unterstützung selbst König des Bosporanischen Reiches zu werden. Während des Bürgerkriegs zwischen Caesar und Pompeius griff Pharnakes vergeblich nach dem alten Reich von Pontos. Der von ihm im Bosporanischen Reich eingesetzte Statthalter Asandros putschte nach der militärischen Niederlage gegen Caesar bei Zela und machte sich selbst 47 zum Herrscher. Um sich als Herrscher zu legitimieren, heiratete Asandros Dynamis, des Königs Tochter. 44 nahm er dann den Königstitel an und herrschte mit ihr weitere 25 Jahre. 17 v.Chr. wiederholte sich der Vorgang. Ein neuer Usurpator drängte an die Macht und heiratete Dynamis, jetzt die Witwe des Königs. Allerdings war er nicht so erfolgreich, zumal Augustus den neuen König von Pontos, Polemon, damit beauftragte, im Bosporanischen Reich die Verhältnisse wiederherzustellen. Polemon eignete sich selbst die Herrschaft an und machte auch Dynamis zu seiner Königin. Dynamis war auf Dauer nicht bereit mit Polemon zu regieren; sie kooperierte wahrscheinlich mit den aufständischen Aspurgianoi, ein Stamm oder eine Gruppe, die den späteren König Aspourgos, einen Sohn von Asandros und wahrscheinlich der Dynamis unterstützte. Polemon büßte bei einer der vergeblichen Aktionen, Herr der Lage zu werden sein Leben ein (ca. 8/7 v. Chr.). Augustus erkannte Dynamis als alleinige Herrscherin an, die bis 7/8 n. alleine Goldmünzen prägen ließ. Livia, die Frau des Augustus, wird hier ein Wörtchen mitgeredet haben. Bemerkenswert sind nämlich zwei Dinge. Auch im Reich von Pontos wurde nach Polemons Tod dessen Witwe die Königin Pythodoris als alleinige Klientelkönigin bestätigt, wie im Bosporanischen Dynamis. Und erst nach Dynamis’ Tod (um 10 n.Chr.) übernahm hier Aspourgos die Herrschaft. Beide Königinnen, Pythodoris und Dynamis, setzten der Livia Statuen als ihrer Wohltäterin (CIRB 978; SEG 39,695). Die Bürger von Phanagoreia (auf der Taman-Halbinsel) ehrten wiederum ihre „Königin Dynamis Philoromaios“, mit einer Statue als ihre Retterin und Wohltäterin (CIRB 979).

Christiane Kunst

Weitere Literatur:

Roller, D.W., Cleopatra’s Daughter and other Royal Women of the Augustan Era, Oxford 2018, 79-97.

Parlasca, K., Gepaipyris, nicht Dynamis, Die Bronzebüste einer bosporanischen Königin in Sankt Petersburg, Eurasia antiqua. Zeitschrift für Archäologie Eurasiens 15, 2009, 241-257.

Rostovtzeff, M., Queen Dynamis of Bosporus, Journal of Hellenic Studies 39, 1919, 88-109.

Bildnachweis: Bildnis einer regierenden bosporanischen Königin; 1898 in Shirokaya Balka nahe Noworossijsk gefunden) Abb. Roller 2018, S. 94, Nr. 13.

Der Tod Getas durch Caracalla: Gemälde von Jacques-Augustin-Catherine Pajou aus dem Jahr 1788 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Geta_Dying_in_his_Mother%27s_Arms_by_Jacques_Pajou_-_Staatsgalerie_-_Stuttgart_-_Germany_2017.jpg?uselang=en#Licensing)

Thema des Monats Februar 2024: Der Tod und die Nachfolge des Septimius Severus

 ‚ὁμονοεῖτε, τοὺς στρατιώτας πλουτίζετε, τῶν ἄλλων πάντων καταφρονεῖτε.‘

„Bleibt einträchtig, bereichert die Soldaten und schert euch um all das andere den Teufel.“

(Cass. Dio 77[76],15,2)

Dies waren die letzten Worte des Kaisers Septimius Severus – zumindest laut seinem Zeitgenossen Cassius Dio. Severus hatte in blutigen Bürgerkriegen, dem sogenannten Zweiten Vierkaiserjahr, alle Konkurrenten um den kaiserlichen Purpur ausgeschaltet und mit seinen beiden Söhnen Bassianus – besser bekannt als Caracalla – und Geta gleich zwei Nachfolger auserkoren. Als er am 04. Februar in Eboracum, dem heutigen York im Norden Englands, verstarb, scheint es gemäß Dios Zeugnis von oberster Priorität für ihn gewesen zu sein, dass die beiden Brüder harmonisch blieben. Doch warum?

Die Quellen berichten, dass die beiden Brüder von frühester Kindheit an erbitterte Rivalen waren und nichts als Hass für einander empfanden. Wie Brüder nun einmal so sind. Dass Severus seinen Erstgeborenen stets bevorzugte, trug wenig zur Deeskalation dieses Konfliktes bei: So erhielt Caracalla in Anlehnung an die Antoninen-Dynastie den Namen Antoninus und wurde auch zum Caesar, also zum Nachfolger seines Vaters, ernannt, wohingegen Geta weder derart prominent umbenannt wurde noch den Caesar-Titel erhielt. Als er dann doch noch wenig später den Caesar-Titel bekam, wurde sein älterer Bruder erneut auf eine höhere Stufe gestellt und zum Augustus, also dem Mitregenten seines Vaters, erhoben. Über 10 Jahre später wurde letztlich auch Geta zum Augustus ernannt. Möglicherweise hatte sein Vater erkannt, dass die von ihm intendierte Doppelherrschaft seiner Söhne andernfalls unmöglich sein würde.

So war es schließlich unvermeidlich, dass sich die brüderliche Rivalität auch auf dem Kaiserthron fortsetzen sollte. Weil beide Brüder eine gewisse Anhängerschaft hinter sich versammeln konnten und es demzufolge keinen Favoriten auf eine Einzelherrschaft gab, schien eine gewaltsame Eskalation des Konfliktes nur eine Frage der Zeit gewesen zu sein. So weit sollte es allerdings nicht kommen: Mittels einer List lockte Caracalla seinen Bruder im Dezember desselben Jahres in einen Hinterhalt und entledigte sich seiner Person auf höchst grausame Weise. Gemäß dem oben bereits erwähnten Cassius Dio sei Geta beim Anblick der zu seiner Ermordung ausgesandten Soldaten zu seiner ebenfalls vor Ort befindlichen Mutter geflohen und habe sie unter Tränen dazu aufgefordert, ihm zu helfen. Machtlos gegen die bewaffnete Übermacht musste sie jedoch hilflos zusehen, wie ihr jüngster Sohn in ihrem eigenen Schoß getötet wurde. Caracalla selbst soll ebenfalls einen Schwertstoß getätigt und die Mordwaffe später einer Gottheit geweiht haben.

Nach Getas Tod verhängte Caracalla eine besonders umfangreiche Erinnerungsächtung über seinen Bruder, die sogenannte damnatio memoriae. Infolgedessen wurden seine Statuen umgestürzt, sein Name ausradiert, seine Porträts zerstört und sogar seine Münzen sollen eingeschmolzen worden sein. Parallel verfolgte Caracalla nunmehr die Anhängerschaft seines Bruders, wobei laut Cassius Dio fast 20.000 Menschen den Tod fanden. Gemäß den antiken Autoren stand Caracallas Herrschaft also von Beginn an unter keinem guten Stern. Diese kann hier jedoch nicht weiter ausgeführt werden, sondern ist Thema für einen anderen Monat.

Kevin Teimer

Bildnachweis: Der Tod Getas durch Caracalla. Gemälde von Jacques-Augustin-Catherine Pajou aus dem Jahr 1788 commons.wikimedia.org/wiki/File:Geta_Dying_in_his_Mother%27s_Arms_by_Jacques_Pajou_-_Staatsgalerie_-_Stuttgart_-_Germany_2017.jpg

Thema des Monats Januar 2024: Der Januar

In der Nacht vom 31.12. auf den 01.01. warten viele (mehr oder weniger) gespannt darauf, das neue Jahr zu begrüßen. Dieses beginnt nach unserer Zeitrechnung um Mitternacht mit dem Monat „Januar“. Doch woher hat der Monatsname eigentlich seine Bezeichnung erhalten? Gibt es eine bestimmte Ursache dafür, dass der erste Monat ausgerechnet „Januar“ heißt und nicht etwa der dritte oder vierte Monat des Jahres? Diese Frage soll im Thema des Monats beantwortet werden.

Der Monatsname „Januar“ geht auf die urrömische Gottheit „Janus“ zurück. Janus war in der römischen Mythologie der Gott des Anfangs und die Schutzgottheit von Türen, Torbögen und allen anderen Formen von Durchgängen (lat. ianua), von denen sich auch sein Name ableitet. In der griechischen Mythologie gibt es keine Entsprechung für ihn. Bei Opfern und Gebeten wurde er, seiner Funktion als Gott des Anfangs entsprechend, stets als erster angerufen.

Münzen und Statuen mit Janus-Motiv zeigen diesen meistens mit einem Doppelkopf, manchmal aber auch vierköpfig. Seine Attribute sind Schlüssel und Stab. Für die Darstellung in Form eines Doppelkopfes gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Georg Wissowa, Philologe, bezieht die Darstellung auf das „Aufgabenfeld“ des Janus – Türen. Eine Tür sei nach zwei Seiten hin ausgerichtet, nach innen und nach außen. Diese Ausrichtung nach zwei Seiten solle durch die doppelköpfige Darstellung des Janus nachgeahmt werden.

Es habe mehrere Kultbauten und Heiligtümer für Janus gegeben, das Hauptheiligtum sei jedoch der Janustempel (ianus Quirinus) am Forum Romanum gewesen, dessen Lage dem Neuen Pauly zufolge noch heute unklar sei. Ursprünglich soll der Janustempel ein Doppeltorbau aus Holz gewesen sein, der mit Bronze beschlagen worden ist. Unter Augustus sei er dann aber noch einmal vollständig neu aus Bronze errichtet worden. Ein Flügeltor habe sich in Richtung Osten, das andere in Richtung Westen erstreckt. Auf dem Doppeltorbau soll sich eine über 2m große, bronzene Statue des Gottes befunden haben, deren Gesichter ebenfalls nach Osten und Westen ausgerichtet waren.

Unter Augustus wurde der Janustempel für dessen Friedenspropaganda instrumentalisiert. Die Türen des Tempels sollten nur dann geschlossen werden, wenn im ganzen Römischen Imperium Frieden herrschte. Dies sei – nach Aussage des Augustus - seit Gründung der Stadt Rom nur zweimal der Fall gewesen, während seiner Amtszeit jedoch gleich dreimal, wie er es selbst in seinen Res gestae, einem Bericht über seine Errungenschaften, festhält: [Ianum] Quirin[um] […] [a condita] u[rb]e bis omnino clausum [f]uisse prodatur m[emori]ae, ter me princi[pe senat]us claudendum esse censui[t].

Julia Grewe

Thema des Monats Dezember 2023: Eine innovative Werbefigur – der Bischof von Myra.

Wenn man sich den Weihnachtsmann oder Santa Claus vorstellen soll, malen sich die meisten wahrscheinlich einen Mann aus, der dem Werbemaskottchen eines namhaften Getränkeherstellers (seit 1931) nicht unähnlich sein wird. Inspiration für diese innovative Werbefigur soll unter anderem das Gewand des heiligen Nikolaus aus dem 4. Jahrhundert gewesen sein. Doch können wir überhaupt gesichert etwas zu diesem Mann sagen, oder fällt seine Geschichte eher in die Kategorie der Legendenbildung?

Keine zeitgenössische Darstellung berichtet uns von einem Bischof Nikolaus von Myra. Erst die „Stratelaten-Legende“ aus justinianischer Zeit ordnet sein Wirken in die erste Hälfte des 4. Jh., während der Regierungszeit des Kaisers Konstantin, ein. Weitere mittelalterliche Berichte ergänzen das Bild unseres heutigen Nikolaus’. Einen großen Einfluss hatte dabei die Lebensbeschreibung des Nikolaus von Sion von Simeon Metaphrastes, der das Leben des 564 verstorbenen Bischofs von Pinara mit dem des Bischofs von Myra vermischte. Wichtig hierbei erscheint, dass es keine Legende ohne Kult gäbe und der Bischof von Myra scheinbar zu Zeiten Simeons bereits verehrt wurde.

Nach der hagiographischen Darstellung wurde Nikolaus von Myra um 280 in Patara, in Lykien, in der heutigen Türkei aus wohlhabendem Hause stammend geboren, und mit 19 Jahren von seinem gleichnamigen Onkel zum Priester geweiht. Später wurde er zurück von seiner Pilgerreise aus dem Heiligen Land zum Bischof von Myra gewählt. Angeblich nahm er auch am ersten großen Konzil der christlichen Kirche in Nicäa 325 teil und soll dabei entschieden gegen Arios – dem Namensgeber des Arianismus – aufgetreten sein. Die unvollständigen Namenslisten des Konzils führen allerdings keinen Nikolaus von Myra auf. Aufzeichnungen des zweiten Konzils von Nicäa 787 halten allerdings fest, dass dieser einem Diakon im Traum erschienen sein soll. Das bedeutet, dass der Kult um die Geschichte Nikolaus’ im späten 8. Jh. Bestand gehabt haben muss, was auch die Verbreitung des Namens nahelegt. Schon im 5. – 7. Jh. häuft sich der Name im Umkreis um Myra, dann auch außerhalb Lykiens und schließlich im 9. Jh. im byzantinischen Einflussbereich und folglich auch zunehmend im Westen.

Auch wenn exakte Aussagen darüber schwerfallen, weshalb sich die Geschichte des Nikolaus solcher Beliebtheit erfreute und sich ein Kult entwickelte, könnte man doch Vermutungen darüber aufstellen.

Einerseits berichtet eine Legende darüber, wie Nikolaus gegen pagane Götter vorging und unter anderem den Tempel der Artemis (Diana) Eleuthera in Myra abgerissen haben soll. Außerdem soll er während der Christenverfolgungen ab 303 unter Galerius und Diocletian wegen seines Glaubens gefangen genommen und gefoltert worden sein. Beide Geschichten zeugen von einem Mann, der bereit war, seinen christlichen Glauben zu verteidigen und gegen pagane Götter vorzugehen und damit die Festigung und Verbreitung eines christlichen Glaubens zu unterstützen.

Andererseits könnte sich der Erfolg des Nikolaus mit den ihm zugeschriebenen christlichen Werten erklären. Ein wichtiger Bestandteil der Legenden ist dabei die Nächstenliebe und Fürsorge, die der Bischof von Myra aufbrachte. So soll er sein eigenes familiäres Erbe verwendet haben, um anderen, schlechter Gestellten zu helfen. Ein innovativer Gedanke in der antiken Welt. Denn Armenfürsorge war im Römischen Reich nicht besonders bekannt und fand erst durch das Erstarken des christlichen Glaubens weitere Verbreitung.

Da trifft es sich doch, einen Heiligen zu haben, der genau für diese innovativen Werte einsteht, und dessen Kult- und Legendenstatus christliche Werte „bewerben“ konnte. Man könnte sagen, dass das ikonographische Bild des heiligen Nikolaus aus dem 4. Jh. als Inspirationsquelle für die moderne Werbefigur des Getränkeherstellers diente, während im Mittelalter sein Bild als Verkörperung christlicher Werte zur Bewerbung und Festigung eines Glaubens diente.

Friedrich W. Brüggemann

Bildnachweis:

// Joachim Schäfer – www.heiligenlexikon.de/BiographienN/Nikolaus_von_Myra.htm

 

Das älteste Nikolausbild im Westen: Die Nikolaus-Ikone von Aachen-Burtscheid.

Das älteste Nikolausbild im Westen: Die Nikolaus-Ikone von Aachen-Burtscheid.

Thema des Monats November 2023: Die Catilinarische Verschwörung

Quo usque tandem abutere, Catilina, patientia nostra? (Cic. Catil. 1,1)

Wie lange noch, Catilna, willst du unsere Geduld missbrauchen?

Mit diesen berühmten Worten begann Marcus Tullius Cicero vor fast 2100 Jahren am 07. November 63 v. Chr. seine bekannte Rede gegen den Politiker Lucius Sergius Catilina. Vorausgegangen war diesen Worten die in der Nacht zuvor geplante Ermordung Ciceros durch Catilina, die jedoch, wie viele weitere Pläne Catilinas, scheiterte.

Doch zunächst zurück zum Anfang. So lag der Ursprung der Catilinarischen Verschwörung, nach dem römischen Geschichtsschreiber Sallust, bereits drei Jahre zuvor, als Catilinas Bewerbung für das Konsulat aufgrund eines laufenden Verfahrens wegen Amtsmissbrauchs, Repetundenverfahren genannt, nicht zugelassen wurde. Zwei Jahre später, im Jahr 64 v. Chr., scheiterte die Kandidatur Catilinas erneut, ehe ihm im Jahr 63 v. Chr. diese zwar gelang, er jedoch seinem politischen Gegner Cicero unterlag. Dieser verhinderte auch im darauffolgenden Jahr die Zulassung Catilinas zum Konsulat, wodurch er die Wut Catilinas auf sich zog. Zusätzlich führten die gescheiterten Wahlkämpfe zu finanziellen Schwierigkeiten, sodass Catilina beschloss, auf einer anderen Weise an Macht zu kommen und somit den Grundstein der Verschwörung legte.

Vorrangig in Etrurien plante Catilina im Jahr 63 v. Chr. Truppen auszuheben, um diese nach Rom ziehen zu lassen und dort prominente Persönlichkeiten zu ermorden und Anschläge zu verüben. So wollte er das dadurch ausbrechende Chaos nutzen, um mit Gewalt an die Macht zu gelangen. Jedoch scheiterten seine Pläne, da Cicero durch Briefe Fulvias, der Geliebten eines Verschwörers, über das Kalkül Catilinas informiert wurde. Kurz darauf erhielt Cicero weitere Briefe, die Beweise für die geplanten Mordanschläge lieferten. In einer Senatsversammlung legte Cicero seine gesammelten Beweise vor und ließ den Notstand ausrufen. So war es den Truppen aus Etrurien nicht mehr möglich, nach Rom zu ziehen, um dort die Anschläge zu verüben und es kam zur Anklage Catilinas. Da wir die meisten Informationen Cicero verdanken, ist nicht ausgeschlossen, dass er den Fall gewaltig aufgebauscht hat.

Catilina gab sich unschuldig und bot (scheinbar) entgegenkommend an, sich in Privathaft zu begeben. Aus dieser gelang ihm jedoch die Flucht und er versuchte seine Verschwörung fortzusetzen. Catilina schickte einen Mitverschwörer zu Cicero, um diesen in der Nacht auf den 7. November ermorden zu lassen und anschließend mit seinen Truppen in Rom einzudringen und auf brutale Weise die Macht zu ergreifen. Doch auch dieser Plan scheiterte, da Cicero erneut durch Briefe Fulvias gewarnt wurde.

Am darauffolgenden Tag folgte die zu Beginn zitierte erste Rede gegen Catilina, in der Cicero im Senat von Catilinas Plänen berichtete. Catilina war dabei selbst im Senat anwesend, floh jedoch noch vor dem Ende der Rede aus dem Senat und verließ Rom.

Catilina, der daraufhin zum Staatsfeind erklärt wurde, bat die Allobroger um Hilfe, die jedoch mit dem Senat verbündet waren. So gelang es dem Senat, die Namen der Mitverschwörer herauszufinden, die folgend festgenommen wurden. Nach Diskussionen im Senat über den Umgang der Verschwörer wurde die Hinrichtung festgelegt, während es

Catilina selbst jedoch gelang, noch vor der Verhaftungswelle die Stadt zu verlassen. Mit seinem Heer versuchte er nach Gallien durchzudringen, wurde jedoch durch einen Senatsherrn abgefangen und starb 62 v. Chr. in der Schlacht bei Pistoria, was das endgültige Ende der Catilinarischen Verschwörung bedeutete.

Annalena Schwettlick

Thema des Monats Oktober 2023: Agrippina maior – Opfer und Akteurin im Streit um den Kaiserthron

Am 18. Oktober 33 ist Agrippina die Ältere, Enkelin von Kaiser Augustus und Mutter von Kaiser Caligula, infolge einer Verweigerung der Nahrungsaufnahme in ihrem Exil auf der Insel Pandateria verstorben. Sie fiel den zum Teil rücksichtslosen Intrigen zum Opfer, die die Geschichte der julisch-claudischen Dynastie prägten und bereits im letzten Monat Thema waren. Agrippina erblickte 14 v. Chr. das Licht der Welt als Tochter von Marcus Agrippa, der rechten Hand des ersten Kaisers Augustus. Ihre Mutter war Julia, die als einziges leibliches Kind von Augustus eine besondere Stellung innehatte. In Ermangelung eines Sohnes musste ihr Vater sich anderweitig nach potentiellen Nachfolgern für seine führende Position in Rom umsehen und fand sie im erweiterten Familienkreis. Er verheiratete seine Tochter – wohl in der Hoffnung auf männliche Enkel – an seinen Neffen Marcellus, der jedoch nach nur 2 Ehejahren kinderlos verstarb.

Die zweite Ehe Julias mit Agrippa brachte dann die ersehnten männlichen Erben hervor. Agrippinas zwei ältere Brüder wurden noch vor der Geburt der kleinen Schwester von Augustus adoptiert und damit als Anwärter auf dessen Nachfolge designiert. Ihren Vater verloren die Geschwister schon im Kleinkindalter, ihrer Mutter Julia wurde womöglich ihr Kindersegen zum Verhängnis. Dadurch gewissermaßen entbehrlich geworden, wurde sie aus Rom verbannt, als Agrippina 12 Jahre alt war. Ihr wurde vorgeworfen, während ihrer dritten Ehe mit Augustus‘ Stiefsohn, dem späterem Kaiser Tiberius, Ehebruch begangen zu haben. Heute ist man sich uneinig darüber, ob unsittliches Verhalten ihrerseits die Reputation des Herrscherhauses sowie insbesondere die Legitimität ihrer Söhne und vorgesehenen Nachfolger des Kaisers in Frage stellte oder sie an einer Verschwörung gegen ihren Vater beteiligt war, der Verstöße gegen seine Ehegesetze als Vorwand für eine Verbannung gebrauchte.

In jungen Jahren bereits mit dem Verlust ihrer Eltern belastet, verlor Agrippina als Teenagerin auch noch ihre beiden älteren Brüder. Dies bedeutete wohl nicht nur für sie persönlich einen weiteren Schicksalsschlag, sondern machte auch die Planungen für die Nachfolge des Augustus zunichte. Dieser adoptierte nun Agrippinas jüngeren Bruder, seinen einzigen verbleibenden männlichen Nachkommen, sowie seinen Stiefsohn Tiberius, der zugleich Stiefvater Agrippinas war und seinen eigenen Neffen Germanicus adoptieren musste. Mit diesem wurde Agrippina verheiratet. Als auch ihr kleiner Bruder und ihre kleine Schwester wenig später verbannt wurden, verblieb sie als einziger Nachkomme des Kaisers, der nicht gestorben oder in Ungnade gefallen war. Es ist schwer vorstellbar, wie sich Agrippina zu dieser Zeit gefühlt haben muss. Einerseits konnten die zahlreichen Intrigen und Todesfälle innerhalb ihrer Familie nicht spurlos an ihr vorübergegangen sein. Andererseits war ihr Ehemann Germanicus nach Tiberius die Nummer 2 in der Thronfolge und sie konnte darauf hoffen, dass ihre Kinder eines Tages an der Spitze des römischen Staates stehen würden – dank der Legitimität, die ihre Abstammung von Augustus ihnen verlieh. Vielleicht ahnte sie damals aber bereits, dass sie und ihre Kinder gerade deshalb zur Zielscheibe weiterer Intrigen werden könnten. Wir sprechen heute von Augustus als erstem Kaiser. Für seine Zeitgenossen war es aber keineswegs klar, dass ihm über Jahrhunderte hinweg weitere Kaiser folgen würden. Rom hatte eine von langen Bürgerkriegen beherrschte Zeit hinter sich und es stand überhaupt nicht fest, wer und in welcher Konstellation nach Augustus den Staat lenken würde. Das musste Begehrlichkeiten wecken.

Agrippina galt als tugendhafte Ehefrau und Mutter und gebar ihrem Mann insgesamt 9 Kinder. Die Verbannung ihrer Mutter aufgrund des Vorwurfs der Sittenlosigkeit hat sie sicherlich fortlaufend daran erinnert, wie wichtig es ist, zumindest nach außen dem Ideal einer römischen Matrone zu entsprechen. Sie begleitete ihren Mann sogar auf einen Feldzug nach Germanien. Das Ehepaar erfreute sich großer Beliebtheit bei Volk und Armee. Nicht zuletzt deshalb stellten sie eine Bedrohung für die Stellung des Tiberius dar, der 14 n. Chr. Augustus' Nachfolge angetreten hatte. Germanicus war eine ernstzunehmende Alternative für die Position des Kaisers und Tiberius musste befürchten, von ihm verdrängt zu werden. Als Germanicus im Jahr 19 n. Chr. während einer Mission in Antiochia verstarb, lag die Vermutung nahe, dass Tiberius seinen Rivalen aus dem Weg geräumt hatte. Agrippina befand sich nun in einer schwierigen Situation. Einerseits hegte sie mit Sicherheit Verdächtigungen und Groll gegen Tiberius, andererseits durfte sie ihm nicht so sehr in die Queere kommen, dass er sie und ihre Kinder als untragbare Bedrohung empfindet. Sie einfach provisorisch aus dem Weg zu räumen, lag allerdings wohl auch nicht im Interesse des Tiberius. Er behandelte die beiden ältesten Söhne Agrippinas als seine Nachfolger und instrumentalisierte sie damit auch für seine eigene Legitimation als Nachfolger des Augustus. Im Jahr zuvor war sein leiblicher Sohn, Drusus der Jüngere, unter ungeklärten Umständen gestorben (Thema des Monats September 2023).

Agrippina und ihre Kinder erfreuten sich nach wie vor großer Beliebtheit und hatten viele politische Unterstützer. Für ihren Untergang war nicht zuletzt der intrigante Prätorianerpräfekt Seian verantwortlich – möglicherweise, weil er selbst die Stellung als Tiberius' Nachfolger anstrebte. Er ging gegen Verbündete Agrippinas vor und machte bei Tiberius Stimmung gegen die Mutter der designierten Nachfolger Nero Caesar und Drusus Caesar, die er gegeneinander auszuspielen versuchte. Im Jahr 27 hatte sich die Lage so sehr zugespitzt, dass Tiberius Agrippina und ihren ältesten Sohn Nero unter bewachten Hausarrest stellen ließ. Zwei Jahre später warf man ihnen vor, sie hätten zu den am Rhein stationierten Legionen fliehen und mit deren Hilfe gegen Tiberius vorgehen wollen. Das bedeutete Hochverrat. Nero wurde deshalb zum Staatsfeind erklärt. Er und seine Mutter wurden in die Verbannung geschickt, aus der sie nicht lebend zurückkehrten. Von Agrippinas Söhnen überlebte nur Caligula die Herrschaft des Tiberius und wurde dessen Nachfolger.

Don Jansen

Thema des Monats September 2023: Drusus der Jüngere – ein Mord im Ränkespiel um die Macht? Der 2000. Todestag des jüngeren Drusus

Nero Claudius Drusus, Sohn des späteren Kaisers Tiberius und seiner ersten Frau Vipsania, wurde 15 oder 14 v. Chr. geboren. Nach der Adoption seines Vaters durch Kaiser Augustus 4 n. Chr. hieß er Drusus Iulius Caesar, wird aber dennoch zur besseren Unterscheidung von seinem gleichnamigen Onkel oft nur Drusus der Jüngere (Drusus minor) genannt.

Obwohl er durch die Adoption seines Vaters auch aus der Familie der Claudier in die der Iulier kam, war er zunächst von der Thronfolge des Augustus ausgeschlossen. Stattdessen sollte sein Cousin Germanicus, nach Tiberius folgen.

Dennoch erhielt er im gleichen Alter wie dieser seine politischen Ämter und stieg rasch die politische Karriereleiter empor. Schon um 2 n. Chr. wurde er princeps iuventutis (Erster der Jugend) und 11 n. Chr. bereits Quaestor, er übernahm um 14 senatorische Aufgaben, übte 15 und 21 das Konsulat aus, ohne zuvor Praetor gewesen sein zu müssen und erhielt 22 die tribunicia potestas. Seine ­– trotz des jungen Alters – politische Relevanz wird auch daraus ersichtlich, dass er nach dem Tod des Augustus im Jahr 14 dessen Testament vor dem Senat verlesen und die Leichenrede gehalten haben soll.

Lange Zeit fürs Trauern blieb Drusus allerdings nicht, denn bereits kurz nach dem Ableben des Kaisers sollte auch seine militärische Karriere beginnen: Er wurde von Tiberius, dem bestätigten Nachfolger des Augustus, zusammen mit dem Prätorianerpräfekten Seian nach Illyricum entsandt. Aufgabe war es hier, die meuternden Legionen wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Legionen in Illyricum und am Rhein begannen zu meutern, da sie nach dem Tod des Kaisers versprochene Gelder nicht erhielten. Zeitgleich mit Drusus schlichtete Germanicus die Umstände in Germanien. Drusus konnte die Kontrolle über die Soldaten zurückerlangen und ließ die Anführer des Aufstandes hinrichten.

Nach seiner Rückkehr nach Rom übte er 15 n. Chr. das Konsulat aus. Im selben Jahr überwarf sich Drusus mit Seian. Der antike Schriftsteller Tacitus überliefert, dass sich die beiden öfters gestritten haben sollen und Drusus bei einem dieser Streite Seian öffentlich ins Gesicht geschlagen haben soll. Dieser Übergriff soll der Anlass für Seians Plan gewesen sein, als erstes Drusus zu beseitigen. Denn er beabsichtigte alle potenziellen Nachfolger des Kaisers loszuwerden, um selbst die Macht erlangen zu können. Dafür sollte er auch Livilla, die Frau des Drusus und Schwester des Germanicus zum Ehebruch verleitet haben.

Drusus hingegen wurde zunächst von Tiberius mit proconsularischem Kommando ausgestattet, zurück nach Illyricum geschickt. Denn für einen potenziellen Nachfolger des Kaisers war es wichtig, Beliebtheit bei den Soldaten zu erlangen und sich seine militärischen Sporen zu verdienen. Obwohl für ihn und Germanicus im Jahr 18 eine ovatio beschlossen wurde, kehrte er erst nach dessen Tod Ende 19 / Anfang 20 zum Begräbnis nach Rom zurück.

Drusus feierte im Mai 20 seine ovatio und reiste in der zweiten Hälfte erneut nach Illyricum, ehe er für sein zweites Konsulat abermals nach Rom zurückkehrte.

Nach dem erfolgreichen Konsulat zusammen mit seinem Vater Tiberius erhielt er 22 die tribunizische Gewalt und galt spätestens jetzt als designierter Nachfolger des Tiberius. Ein möglicher Dorn im Auge des einflussreichen und mächtigen Prätorianerpräfekten Seian, der seinen Plan noch nicht vergessen hatte. Tacitus berichtet, dass Seian ein Verhältnis mit Drusus’ Frau führte und diese dazu bewegte, ihren Mann zu vergiften.

Ob Seian wirklich einen großen Plan hegte und für Drusus’ Tod verantwortlich war, können wir heute nicht mit Sicherheit sagen. Allerdings starb Drusus etwa im Alter von 30 Jahren plötzlich im September 23. Drusus erhielt posthum vom Senat diverse Ehren und wie zu Lebzeiten schon sollten auch nach seinem Tod Statuen und Altäre für ihn errichtet werden.

Um Mitglied der kaiserlichen Familie zu werden, soll Seian in der Folge die Erlaubnis erbeten haben, die Witwe Livilla zu ehelichen. Tiberius lehnte diese Anfrage zwar ab, aber dennoch stieg Seian in der Gunst des Kaisers in den folgenden Jahren weiter. Erst 31 soll die Mutter des Germanicus Antonia eine mögliche Verschwörung des Seians aufgedeckt haben, die eventuell auch darin bestand, dass er Livilla doch heimlich geheiratet hatte. Nachdem Seian hingerichtet wurde, offenbarte dessen Ex-Frau Apicata, Seians und Livillas Beteiligung am Tod des jüngeren Drusus.

Friedrich W. Brüggemann

Foto: Oberer Ausschnitt der „Cameo of Tiberius“ auch „Grand Camée de France“ genannt, zwischen 23 und 29/25 bzw. 27 n. Chr. entstanden; am ehesten aber um 23 n. Chr. Heute in Paris aufbewahrt (Ilya Shurygin, 2014).

Oberer Ausschnitt der „Cameo of Tiberius“, die Person mit Schild soll Drusus nach dessen Tod darstellen.

Oberer Ausschnitt der „Cameo of Tiberius“, die Person mit Schild soll Drusus nach dessen Tod darstellen.

Thema des Monats August 2023: Der römische Kalender

„Dann kommt der August, der früher Sextilis hieß, bis man ihn auf Grund eines Senatsbeschlusses zu Ehren des Augustus umbenannte.“ Mit diesen Worten beschreibt der römische Schriftsteller Macrobius im ersten Buch seiner Saturnalien, warum der achte Monat des Jahres bis heute August heißt. Doch wie funktionierte der römische Kalender eigentlich?

Der römische Kalender (lat. fasti) kannte drei festgesetzte Tage innerhalb eines Monats: die Kalenden, die Nonen und die Iden. Während die Kalenden immer auf den ersten Tag eines Monats fielen, unterschied sich das Datum der Nonen und Iden in Abhängigkeit vom jeweiligen Monat. So waren die Nonen eigentlich am fünften und die Iden am dreizehnten Tag des Monats; im März, Mai, Juli und Oktober dagegen fielen die Nonen auf den siebten und die Iden auf den fünfzehnten Tag.

Anhand jener drei Bezugspunkte wurden die anderen Tage des Kalenders durchgezählt, wobei man sich immer auf den nächstfolgenden Termin bezog und den Ausgangstag mitzählte. Somit wäre beispielsweise der 02. August nach römischer Zählung „der vierte Tag vor den Nonen des August“ (ante diem IV Nonas Augusti), der 11. August „der dritte Tag vor den Iden des August“ (ante diem III Idus Augusti) und der 24. August „der neunte Tag vor den Kalenden des Septembers“ (ante diem IX Kalendas Septembri).

Und wie ist die Einteilung des Jahres in die verschiedenen Monate zu erklären? Auch hierzu liefert Macrobius eine Antwort: So soll Romulus, der mythische Gründer der Stadt Rom, das Jahr ursprünglich in zehn Monate unterteilt und diese Zählung mit dem März begonnen haben. Erst sein Nachfolger Numa habe dann die beiden Monate Januar und Februar vor den März gesetzt, wodurch es ab diesem Zeitpunkt zwölf Monate gab.

Hierin liegen möglicherweise die unterschiedlichen Jahresbeginne begründet: So begann der politische Kalender am 01. Januar, da die jeweiligen Konsuln an jenem Tag ihr Amt antraten. Nach den Konsuln wurden schließlich auch die einzelnen Jahre voneinander unterschieden: Das, was wir heute als 44 v. Chr. betiteln, war nach damaligem Verständnis schlichtweg „das Jahr der Konsuln Caesar und Marcus Antonius“. Das religiöse Jahr hingegen begann am 01. März, von dem aus sich auch die Namen eines Großteils der Monate ableiteten: So war der Quintilis (lat. quintus = der Fünfte), der späterhin zu Ehren Caesars in Juli umbenannt wurde, ursprünglich der fünfte Monat, der oben bereits erwähnte Sextilis (lat. sextus = der Sechste) der sechste, der September (lat. septem = sieben) der siebte, der Oktober (lat. octo = acht) der achte, der November (lat. novem = neun) der neunte und der Dezember (lat. decem = zehn) der zehnte.

Derartige Neubenennungen der Monate wie zu Ehren von Caesar und Augustus gab es auch in der Folgezeit: So soll der Kaiser Domitian die Monate September und Oktober zu seinen eigenen Ehren in „Germanicus“ und „Domitianus“ umbenannt haben. Der Princeps Commodus soll sogar noch einen Schritt weiter gegangen sein und alle Monate nach seinen (Ehren)Namen umbenannt haben. Anders als bei Caesar und Augustus wurden diese Änderungen jedoch nach dem Tod jener als tyrannisch gebrandmarkten Kaiser widerrufen.

Caesar war es schließlich auch, der eine große Kalenderreform vornahm und den bisher gültigen Mondkalender durch einen Sonnenkalender ersetzte, den sogenannten julianischen Kalender. Damit die neue Zeitrechnung präzise stimmte, schob Caesar zwischen November und Dezember zwei weitere Monate ein, sodass dieses Jahr inklusive des ohnehin geplanten Schaltmonats fünfzehn Monate besaß und infolgedessen als „Verworrenes Jahr“ sprichwörtlich wurde. Trotz dieser anfänglichen Schwierigkeiten wurde der neue Kalender in der Folgezeit vielfach übernommen und gilt nicht nur als Vorläufer unseres heutigen gregorianischen Kalenders, sondern wird von einigen orthodoxen Kirchen bis zum heutigen Tag verwendet.

Kevin Teimer

Rekonstruierte Abbildung der sogenannten Fasti Antiates maiores, eines gemalten Wandkalenders aus der Zeit der späten römischen Republik vor der julianischen Kalenderreform.

Rekonstruierte Abbildung der sogenannten Fasti Antiates maiores, eines gemalten Wandkalenders aus der Zeit der späten römischen Republik vor der julianischen Kalenderreform.

Thema des Monats Juli 2023:Der große Brand Roms. Kaiser Nero, ein Brandstifter?

Es ist der 19. Juli 64 n. Chr. In einer der hölzernen Verkaufsbuden am Circus Maximus entsteht ein Feuer, das sich innerhalb kürzester Zeit im dichtbesiedelten Rom ausbreitet. Der große Brand Roms soll insgesamt neun Tage in der Ewigen Stadt gewütet haben. Das Inferno zerstört etwa Zweidrittel der Stadt. Ein Unfall oder war es etwa doch Brandstiftung? Aus damaliger Sicht scheint klar: Schuldiger? Kaiser Nero. So wurde ihm vorgeworfen, Rom extra angezündet zu haben, um die Stadt nach seinen Wünschen und Plänen wieder prachtvoll aufbauen zu lassen.

Die antiken Texte vermitteln uns in Teilen die Ansicht, dass Nero für den Brand der Ewigen Stadt verantwortlich gewesen sei. Nachweisbare Vorwürfe oder aus heutiger Sicht doch nur üble Nachrede?

Cassius Dio wird dabei im fünften Band seiner Römischen Geschichte deutlich und schreibt, dass „der Kaiser heimlich Männer aus[schickte], die sich als betrunken oder auch sonst wie verbrecherisch geben sollten, und ließ zuerst ein oder zwei oder selbst mehrere Gebäude in Brand stecken“, um „die ganze Stadt sowie das Reich zu vernichten“.

Auch der bekannte Historiker Tacitus berichtet in seinen Annalen etwa 50 Jahre nach dem Feuer über den wohl größten Brand Roms und bestreitet eine mögliche Schuld Neros nicht. So spekuliert er: „Darauf ereignete sich ein Unglück, ob durch Zufall oder des Kaisers Hinterlist veranlaßt, ist ungewiß - die Geschichtsschreiber haben beides berichtet.“ Jedoch stützt auch er sich nur auf andere Quellen, die er jedoch nicht genauer benennt. Zudem war das Bild des Kaisers sowieso negativ geprägt, sodass ein solcher Verdacht es nur weiter untermauerte.

Brände waren im antiken Rom keine Seltenheit. Gebäude bestanden aus Holz, gekocht wurde mit offenen Flammen und auch als Lichtquelle wurde offenes Feuer genutzt. Dass es zu einer Katastrophe solchen Ausmaßes kommen musste, scheint somit nicht vollkommen verwunderlich. Bereits Augustus klagte im Jahr 6 n. Chr. über vermehrte Brände in der Ewigen Stadt und bereits zehn Jahre vor dem großen Brand Roms stand der Caelius-Hügel zwei Tage in Flammen. Doch betrachten wir den Verlauf des großen Brandes genauer. Auch hier berichtet der römische Geschichtsschreiber Tacitus:

„Es brach in dem Teile des Circus aus, der nach dem Palatinus und Caelius hin gelegen ist. Dort in den Verkaufsbuden, wo die Waren den Flammen Nahrung boten, entstand es, breitete sich vom Winde begünstigt sofort aus und ergriff den Circus in seiner ganzen Länge.“ Auch Dio berichtet von starken Winden, die die Flammen „zu all den Bauwerken hin, die noch standen“ trugen und die Ausbreitung des Brandes begünstigten. Zudem „lagen ja keine mit Brandmauern versehene Paläste oder mit Mauern umgebene Tempel dazwischen oder sonst etwas, was das Feuer hätte aufhalten können“, was nach Tacitus zusätzlich zur Ausweitung des Feuers beitrug. 

Auch die Löschversuche scheiterten aufgrund der rasanten Ausbreitung der Flammen und der engen, verwinkelten Straßen Roms. Weiter berichtet Tacitus von den Hinderungen bei den Löscharbeiten durch die schwächeren Bürger Roms. Aber auch bei Dio heißt es: „Dazu ertönten endlos Schreie und Jammerrufe zusammen von Kindern, Frauen, Männern und Greisen.“ Für weiteres Leid sorgten nach Dio die Soldaten einschließlich der Nachtwachen, die „ihr Augenmerk auf Plünderung [richteten] und […] anstatt zu löschen, noch weitere Gebäude an[zündeten].“ So sorgten weitere Verbrechen für noch mehr Elend zum Zeitpunkt dieser Krise der Ewigen Stadt.

Während die Einwohner Roms voller Angst und Leid vor den Flammen flüchteten und weitere unzählige Menschen qualvoll den Tod fanden, soll Kaiser Nero nach dem römischen Geschichtsschreiber Dio „zum Dach seines Palastes empor [gestiegen sein], von wo aus man den besten Überblick über den größeren Teil der Brandstellen hatte.“ Dort soll er im Kleid eines Kitharaspielers mit Blick auf die Flammen die Einnahme Trojas besungen haben. Dabei scheint auch für Sueton klar, dass der Kaiser Rom in Brand setzte, um „die Schäbigkeit der alten Gebäude und die engen und gewundenen Gäßchen“ zu erneuern. So soll er nach Sueton dieses Vorhaben sogar angekündigt haben und seine Ziele durch die Brandstiftung umgesetzt haben.

Für die heutigen Historiker*innen scheint die Verdächtigung Neros als Brandstifter jedoch vielmehr als politische Propaganda gedient zu haben. So brach das Feuer nicht in den von Nero ungeliebten Elendsvierteln aus, sondern am Caelius- Hügel, der zuvor schon im Jahr 27, 36 und 54 n. Chr. in Brand stand und durch die Flammen verwüstet wurde. Zudem wurde durch den Brand im Jahr 64 n. Chr. auch der kaiserliche Palast, der erst kurz zuvor nach den Wünschen des Kaisers umgestaltet worden war, zerstört. Dabei wurden auch die einzigartigen Sammlungen an Kunstschätzen vernichtet, die für Nero besondere Bedeutung hatten. Außerdem soll Nero während des Brandes alle möglichen Kräfte zur Brandbekämpfung eingesetzt haben und sich um die Versorgung mit Lebensmitteln für die Bürger Roms gekümmert haben.  

Es kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass der große Brand Roms auf eine Brandstiftung Neros zurückzuführen ist. Dennoch gilt eine absichtliche Brandstiftung durch den Kaiser als unwahrscheinlich und die Beschuldigungen Neros beruhten vielmehr auf Gerüchten und dienten der politischen Propaganda. Stattdessen werden vermutlich die klimatischen Bedingungen, die Architektur der Stadt sowie der Umgang mit offenem Feuer den großen Brand Roms verursacht und begünstigt und für diese Katastrophe in der Ewigen Stadt gesorgt haben.

Annalena Schwettlick

Gemälde „The fire of Rome“ von Hubert Robert.

Gemälde „The fire of Rome“ von Hubert Robert.

Thema des Monats Juni 2023: Der Tod des Kaisers Nero

Der 9. Juni ist der Todestag von Kaiser Nero. Bis heute ist er – zum Teil wohl zu Unrecht – für seine tyrannische Herrschaft berühmt. Unzufriedenheit mit seiner Herrschaft hatte jedenfalls im Frühjahr des Jahres 68 zu einem Aufstand in den westlichen Provinzen des römischen Reiches geführt.

Die römischen Kaiser stützten ihre Macht in Rom auf die Prätorianer-Garde. Diese war in erster Linie die Leibwache des Kaisers und für seine Sicherheit verantwortlich. Weil der Kaiser den Prätorianern sein Leben anvertraute und sie in der Stadt Rom gewissermaßen ein Gewaltmonopol innehatten, war er von ihnen abhängig. Von den Senatoren waren viele nicht gut auf Nero zu sprechen. Als sich zeigte, dass ihm die Kontrolle über das Reich entglitt, wurde Nero am 9. Juni 68 n. Chr. vom Senat abgesetzt und zum Tode verurteilt. An seiner Stelle wurde Galba, der 73-jährige Statthalter von Spanien und Anführer des Aufstands in den Provinzen, als Kaiser bestätigt. Einer der Kommandanten der Prätorianer-Garde machte mit dem Senat gemeinsame Sache. Im Namen des neuen Kaisers stellte er den Prätorianern eine Sonderzahlung von zehn Jahresgehältern in Aussicht, die sich daraufhin von Nero abwandten. Ohne die Unterstützung seiner Leibwache in große Gefahr geraten, ergriff Nero die Flucht aus Rom. Auf den nahegelegenen Ländereien eines Vertrauten beging er schließlich Selbstmord.

Die Berichte der antiken Autoren über den Tod Neros sind, wie die Schilderungen seiner Herrschaft insgesamt, mit Vorsicht zu genießen. Besonders die einflussreiche senatorische Oberschicht Roms war mit Neros Verhalten als Kaiser unzufrieden. Ihre üble Nachrede prägte ein Bild Neros, das ihn als wahnsinnige und lächerliche Tyrannen-Figur erscheinen lässt. Diese Tendenz findet sich auch in den Todesdarstellungen und muss kritisch hinterfragt werden:

Im Kontrast zu seiner früheren, prunkvollen Hofhaltung landet Nero auf seiner Flucht mit nur wenigen Begleitern und schäbig gekleidet in einer ärmlichen Kammer. Die Quellen beschreiben, wie Nero sich in der Notlage wenig souverän verhält. Traditionell wurde von Angehörigen der römischen Oberschicht erwartet, dass sie sich in ausweglosen Situationen erhobenen Hauptes das Leben nehmen, anstatt den Feinden in die Hände zu fallen. Hierin tut Nero sich schwer. Von seinen Begleitern zum ehrenvollen Freitod gedrängt, laviert er herum und bedauert sein Schicksal. Überliefert ist der Ausspruch: „Welch ein Künstler geht mit mir zugrunde?“ Erst als zu hören ist, wie sich Soldaten nähern, stürzt sich Nero mithilfe eines ehemaligen Sklaven in einen mitgebrachten Dolch. Mit den letzten Atemzügen soll er die mittlerweile eingetroffenen Häscher törichterweise für besorgte Helfer gehalten haben. So wird er dargestellt als ein Mann, der bis zuletzt realitätsfern seiner eigenen Version der Wirklichkeit verhaftet blieb.  

Don Jansen

Foto: Sergey Sosnovskiy: Kopf einer Kolossalstatue Neros aus den 60er Jahren des 1. Jh. n. Chr.

Thema des Monats Mai 2023: Eine Antike Himmelfahrt?

Christi Himmelfahrt ist ein wichtiger christlicher Feiertag, der die Rückkehr Jesu in den Himmel nach seiner Auferstehung feiert. Wussten Sie jedoch, dass es Parallelen zwischen Christi Himmelfahrt und einem antiken römischen Konzept namens "Apotheose" gibt?

In der römischen Gesellschaft waren die Praktiken der Apotheose eng mit Machtstrukturen und politischer Propaganda verbunden. Die Erhebung eines Herrschers in den göttlichen Status diente dazu, seine Autorität und Legitimität sowie die seines potenziellen Nachfolgers zu festigen. Hier lassen sich auch Parallelen zwischen der Apotheose in der antiken römischen Kultur und dem christlichen Fest der Himmelfahrt Jesu finden.

Zunächst scheint bei der Apotheose der frühen Kaiser die Bezeugung des Ereignisses noch wichtig gewesen zu sein. Die antiken Autoren Sueton und Cassius Dio berichten von Zeugen, die darauf schworen, die Seele des Kaisers Augustus nach der Verbrennung seines Leichnams in den Himmel aufsteigen gesehen zu haben. Auch in den christlichen Himmelfahrtsberichte werden Zeugen genannt.

Später, wie nach dem Tod des oben dargestellten Kaisers Antoninus Pius im Jahr 161 n. Chr., scheint der Prozess der Vergöttlichung durch Beschlüsse des Senats bereits formalisiert worden zu sein. Dabei erwähnt die Historia Augusta keine Zeugen mehr, die den Aufstieg der kaiserlichen Seele beschwören. Auch ist dies daran zu erkennen, dass in der Darstellung der Kaiser bei seiner Himmelfahrt von seiner Frau Faustina der Älteren begleitet wird. Diese verstarb allerdings etwa 20 Jahre vor ihm und wurde ebenfalls vom Senat in den göttlichen Satus erhoben.

Friedrich W. Brüggemann

Foto: Sergey Sosnovskiy: Darstellung der Apotheose des Antoninus Pius und der Faustina an der Basis der Antoninus-Pius-Säule.

Darstellung der Apotheose des Antoninus Pius und der Faustina an der Basis der Antoninus-Pius-Säule.

Darstellung der Apotheose des Antoninus Pius und der Faustina an der Basis der Antoninus-Pius-Säule.

Kaiser des Monats April 2023: Marcus Salvius Otho

Marcus Salvius Otho (geb. 28. April 32 n. Chr., gest. 16. April 69 n. Chr.) war während des sogenannten Vierkaiserjahres 68/69 n. Chr. für nur drei Monate römischer Kaiser. Er war ein ‚Saufkumpan‘ Neros und mit Poppaea Sabina verheiratet, in die sich Nero verliebt haben soll. Weil Otho sich jedoch geweigert habe, Poppaea an Nero abzutreten, sei er unter dem Vorwand der Statthalterschaft in eine römische Provinz geschickt worden, damit er Nero nicht mehr in die Quere käme.

Als sich Galba im Jahr 68 n. Chr. gegen Nero erhob, unterstützte Otho ihn und wandte sich somit gegen seinen ehemaligen Freund. Nachdem Galba die Herrschaft erlangt hatte und Otho entgegen seiner Hoffnung nicht zu dessen Nachfolger auserkoren worden war, nahm er das Heft des Handelns selbst in die Hand: Er überredete die Prätorianer, Galba zu töten und wurde anschließend von diesen zum Kaiser ausgerufen.

Diese Verschwörung lastete schwer auf Othos Image, weshalb er seinen Ruf reinzuwaschen versuchte. Ein Beispiel hierfür ist die angeführte Münzprägung, auf deren Rückseite die Siegesgöttin Victoria mit der Umschrift Victoria Othonis zu sehen ist. Dadurch rechtfertigte er nicht nur sein Vorgehen gegenüber seinem Vorgänger, sondern propagierte auch die Vorstellung seines rechtmäßigen Anspruches auf die Kaisernachfolge.

Nichtsdestotrotz fand seine Herrschaft ein schnelles Ende.  Als seine Armee im Bürgerkrieg mit Vitellius in einer Schlacht unterlag, beging Otho Selbstmord, weil er dadurch angeblich verhindern wollte, dass seinetwegen noch mehr römisches Blut vergossen werde. Dieser Freitod rief bei den antiken Autoren, die ansonsten ein eher negatives Bild des Kaisers zeichneten, in besonderem Maße Bewunderung hervor.

Zur Abbildung der Münze: https://ikmk.smb.museum/object?lang=de&id=18227848&view=rs

Text: Kevin Teimer, M.Ed.

Münzdarstellung des Marcus Salvius Otho

Münzdarstellung des Marcus Salvius Otho